Bonn, September 2022
Hintergrund:
Die EU-Kommission hat Mitte Juni 2022 den Verordnungsentwurf für die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation – SUR) veröffentlicht. Diese soll die aktuelle Richtlinie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUD) ablösen. Laut Kommission sei die aktuelle SUD moderat effektiv, es seien keine quantitativen Zahlen oder Indikatoren in nationalen Aktionsplänen verankert, kein effektives Monitoring-System aufgebaut worden sowie zu wenig Daten zur Nutzung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) vorhanden.
Der Verordnungsvorschlag enthält verschiedene Ansätze, um die Anwendung von PSM im Sinne der EU nachhaltiger zu gestalten:
- 50 % Reduktion des Pestizideinsatzes und -risikos sowie des Einsatzes gefährlicherer PSM (sowohl EU-weit als auch nach nationalen, eigenen Zielen) im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2015 – 2017.
- Verbot der Nutzung von allen PSM in so genannten empfindlichen Gebieten (darunter urbane Gebiete und Schutzgebiete gemäß der Richtlinie 2000/60/EC, Natura 2000 Gebiete). Ein Pufferstreifen von 3 m ist zusätzlich einzuhalten. Ausnahmen erteilen Behörden nur für 60 Tage unter besonderen Bestimmungen.
- Ein Verbot der Verwendung aller PSM an allen Oberflächengewässern und in einem Umkreis von 3 Metern um eben diese.
Position des Fair and Green e. V.:
Als Verband für nachhaltigen Weinbau unterstützt der Fair and Green e. V. grundsätzlich die Ambition der EU-Kommission die potenziellen Umweltrisiken von PSM zu reduzieren. Die pauschalen Mengenreduktionsziele innerhalb des Vorschlags verfehlen allerdings das übergeordnete Ziel des Umweltschutzes und gefährden gleichzeitig die Ertragssicherheit und die Betriebserfolge in der Weinwirtschaft.
Weitreichende Folgen für deutsche Kulturlandschaften
Aktuell liegen noch keine konkreten Zahlen für Deutschland vor, wie viele Hektar (ha) Rebfläche vom Vorschlag der Kommission zu empfindlichen Gebieten betroffen wären. Entsprechende Daten werden zurzeit vom BMEL erhoben. Allerdings sind die Abschätzungen regionaler Winzerverbände für ihre Gebiete alarmierend. Fast das gesamte Moseltal ist als Landschaftsschutzgebiet ausgezeichnet. Auch die Flächen an Nahe und Ahr wären stark betroffen. Das Weinbaudezernat im Rheingau nennt eine Rebfläche von 27 ha in Naturschutzgebieten, 25 ha in FFH-Gebieten und 324 ha in Wasserschutzgebieten. In Baden-Württemberg fiel etwa ein Drittel der Rebfläche, 9.100 ha, unter die Einschränkung. Mit dem aktuellen Vorschlag der EU-Kommission wird der Weinbau in vielen deutschen Gebieten und damit auch der Erhalt von wertvollen, teilweise 2000-jährigen Kulturlandschaften mit einer einzigartigen Flora und Fauna akut gefährdet. Zudem wird dadurch der Erhalt von Landschaften zur Erholung und auch der Tourismus in Frage gestellt und gewachsene Dorfstrukturen würden stark bedroht oder gar verschwinden.
Fokus auf Reduzierung negativer Umweltauswirkungen statt Mengen
Der moderate Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist auch in einer nachhaltigen Landwirtschaft essenziell, um Qualität und Quantität der Erträge und damit die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der Betriebe zu sichern. Der potenzielle Ertragsausfall durch Schadorganismen im Weinbau wird auf 17 bis 40 Prozent geschätzt. Im Zuge immer extremerer Wetterereignisse sind auch komplette Ertragsausfälle möglich. Die eingesetzten Wirkstoffe können Nebeneffekte auf die Umwelt und den Menschen haben, welche auf ein Minimum reduziert werden müssen. Dabei sagen die ausgebrachte Menge und der Ursprung eines PSM allerdings nichts über die Umweltwirkung aus. Aus diesem Grund sind Systeme notwendig, die nicht ausschließlich auf eine Reduzierung der Menge, sondern auf die Reduzierung der negativen Umweltauswirkungen von PSM abzielen.
Von Beginn an ist es ein wichtiges Ziel des Fair and Green e.V., dass der Weinbau auch in Zukunft ausreichend und qualitativ hochwertiges Lesegut erzeugen und gleichzeitig konkrete Umweltschutzmaßnahmen erbringen kann. Der Fair and Green e. V. hat vor diesem Hintergrund, zusammen mit dem Pflanzenschutzexperten Lars Neumeister, den Toxic Load Indicator (TLI) bereits 2013 für den Weinbau weiterentwickelt, um PSM anhand ihrer Toxizität zu bewerten und die Betriebe somit zum geeigneten Einsatz beraten zu können. Aufgrund mehrjähriger Anwendung und den damit verbundenen Datenerhebungen hat sich gezeigt, dass die Betriebe mithilfe des TLI den Einsatz stark toxischer PSM deutlich reduzieren und gleichzeitig die Ertragsqualität nachhaltig bewahren oder sogar ausbauen konnten. Das System TLI wird zudem sowohl von Bio- als auch nicht-Bio-Betrieben erfolgreich angewendet. Mit dem TLI für den Weinbau steht somit ein praxiserprobtes System zur Verfügung, welches das Ziel der Reduzierung des Umweltrisikos von PSM erfolgreich umsetzen kann.
Der Fair and Green e. V. fordert die europäischen PSM-Reduktionsziele vorrangig an die Umweltwirkung des Wirkstoffs und nicht ausschließlich an die Menge zu koppeln. Die einseitige schwarz-weiß Betrachtung des Pflanzenschutzes muss durch eine wissenschaftsbasierte Betrachtungsweise ersetzt werden. Nur so können Ziele im Umweltschutz erreicht und gleichzeitig Erträge gesichert, Kulturlandschaften erhalten sowie ein auskömmliches Einkommen für die Weingüter generiert werden.
Das vollständige Positionspapier finden Sie hier zum Download als PDF
Über Fair and Green e. V.
Der Fair and Green e. V. setzt sich seit 2013 für eine ganzheitlich nachhaltige Weinwirtschaft ein und vereint über 130 Unternehmen aus 9 Ländern, darunter Weingüter, Fachhandel und Wertschöpfungspartner. Er ist Träger der Nachhaltigkeitszertifizierung FAIR’N GREEN.
Kontakt:
Lukas Müller
Referent Verband & Politik
Tel.: +49 (0) 228 / 76 37 85 09
Mail: lukas.mueller@fairandgreen.com
www.fairandgreen.de